GEH UND LEBE |
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![]() 144 Min. | 658429 DE | nicht mehr im Handel |
Originaltitel: | Va, vis et deviens | ![]() |
Regie: | Radu Mihaileanu | |
Musik: | Armand Amar | |
Darsteller: | Moshe Agazai, Moshe Abebe, Sirak M. Sabaha, Yaël Abecassis, Roschdy Zern, Roni Hadar, Yitzhak Edgar, Rami Danon | |
Frankreich 2005 |
In den 1980er Jahren flüchten Zehntausende Äthiopier vor der Hungersnot ins Nachbarland Sudan, wo sie in riesigen Auffanglagern landen. Unter ihnen befinden sich einige Tausend Angehörige einer schwarzafrikanischen Volksgruppe, die seit Urzeiten im äthiopischen Bergland nach der jüdischen Religion leben. Mit US-amerikanischer Hilfe werden die Afrikaner mit jüdischem Glauben aus den Flüchtlingsmassen aussortiert und von den Israeliten in geheimen Flügen vom Sudan in den jüdischen Teil Palästinas transportiert. Für die ausgeflogenen Menschen ist es die Rettung vor dem Tod durch Hunger, Krankheit und ethnisch-religiöser Verfolgung. Zugleich werden sie damit ihrem gewohnten bäuerlichen Lebensraum entrissen und in eine ihnen völlig fremde moderne Welt verschleppt, in der sie sich nur schwer zurechtfinden und abermals unter Diskriminierung leiden.
Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse erzählt der französische Spielfilm "Geh und lebe" von der Odyssee eines kleinen afrikanischen Jungen. Als am Morgen vor dem Abflug im sudanesischen Flüchtlingslager der Sohn einer Äthiopierin jüdischen Glaubens stirbt, gibt ihr eine Mutter christlichen Glaubens ihren eigenen, gleichaltrigen Jungen an die Hand. Wortlos nimmt die Frau das fremde Kind mit. Es ist seine vielleicht einzige Chance zu leben, wenn er die Identität des verstorbenen Salomon annimmt. Die Frau läßt ihn ihren Familienstammbaum auswendig lernen und schärft ihm ein, niemals das Geheimnis preiszugeben, daß er in Wirklichkeit kein Jude ist.
Kurz nach der Ankunft im von den Israeliten kontrollierten Teil Palästinas stirbt die Frau im Krankenhaus. Der 9jährige Salomon ist nun völlig allein in einem Land, das ihm so fremd ist wie ein anderer Planet. Er versteht die Sprache nicht, er verträgt das Essen nicht, er muß unbequeme Kleidung tragen. "Schlomo" nennen sie ihn jetzt. Im Internat mit vielen anderen afrikanischen Flüchtlingskindern kann sich der Junge nicht einfügen. Er sehnt sich nach seiner Mutter. Nur wenn nachts der Mond am Himmel scheint, findet er darin etwas Vertrautes. Es ist derselbe Mond der auch über die Mutter wacht, die im Lager im Sudan zurückgeblieben ist. Dieses weiße Licht muß Gott sein, glaubt er. Der Junge aus Afrika hat die Vorstellung, wenn er ein Jude würde, dann würde auch seine Haut weiß werden, wie die der in Palästina lebenden Juden, so weiß die Gott. Aber wie wird man ein Jude? Was ist ein Jude eigentlich? Das sind Fragen, die ein Kind völlig überfordern.
Die Betreuer im Kinderheim erkennen bald, daß der Junge sehr klug ist. Schlomo kommt in eine Familie, die ihn adoptiert. Die Eltern Yaël und Yoram und ihre zwei Kinder sind nicht sehr religiös, sie haben eine weltliche Lebensanschauung. Sie nehmen das Flüchtlingskind aus rein menschlichen Motiven auf. Mit viel Liebe versuchen sie dem Jungen ein neues Zuhause zu schenken und ihm bei der Eingewöhnung zu helfen.
Erschwert wird dieser Neuanfang durch die offene Anfeindung, die den Äthiopiern im jüdischen Teil Palästinas entgegenschlägt. Die Israeliten, die diese Region beherrschen und sich dort nach der Vertreibung der arabischen Bevölkerung eigene Strukturen errichtet haben, diskriminieren die von ihnen selbst aus Afrika geholten schwarzen Menschen und schikanieren sie mit demütigenden religiösen Zwangsritualen. Die Juden vertreten die bizarre These, die Äthiopier mit dem jüdischen Glauben seien Nachkommen aus der Verbindung ihres legendären Königs Salomon mit der aus einem südlichen Land stammenden Königin von Saba. Beide sind Sagengestalten aus der jüdischen Mythologie. Gleichwohl gibt es unter den religiösen Führern der Juden keine Einigkeit, ob die äthiopischen Juden auch "richtige" Juden sind.
Schlomo wächst zu einem Teenager heran, der Tag für Tag mit einer Lüge leben muß. Denn er weiß, wenn es entdeckt wird, daß er nicht zur Volksgruppe der Äthiopier jüdischen Glaubens gehört, werden die Israeliten ihn wieder nach Afrika deportieren und dort aussetzen.
Mit 13 verliebt Schlomo sich in die gleichaltrige weiße Jüdin Sarah, wird jedoch als Afrikaner von deren Vater schroff abgewiesen.
Nur bei dem alten Gelehrten Qès, der ebenfalls aus Äthiopien gekommen ist, findet der Junge Beistand in schwierigen Lebensfragen. Ohne eigene leibliche Familie, ohne wirkliche Heimat, ohne Geschichte, bleibt Schlomo nur seine innere geistige Kraft. In einer Gesellschaft voller religiöser Verbohrtheit hat Schlomo nur die Worte als Waffe: er wehrt sich mit der Brillanz seines Intellekts und seiner Intuition bei der Interpretation des Glaubens.
Auch Jahre danach ist Schlomo bei der Suche nach seiner Identität an keinem Ziel angelangt. Das Land, in dem er seine Jugend verbracht hat, ist ihm nie eine Heimat geworden. Als junger Mann steht er erneut vor der Flucht. Vor all den Anfeindungen der rassistischen Israeliten, deren Organisation ihn zudem noch als Soldat in ihrem fortwährenden Krieg gegen das arabische Volk von Palästina verheizen will, geht er nach Paris, um Medizin zu studieren. Freundin Sarah bleibt ihm über all die Jahre treu. Sie bricht mit ihrer eigenen Familie, um Schlomo zu heiraten. In einem letzten Akt muß er sich nun endgültig von der Lebenslüge befreien...
Mit einer ungeheueren Intensität inszeniert der Regisseur die traurige Lebensgeschichte eines Jungen zwischen zwei Welten. Tief berührende Momente sprechen aus Bildern und Gesichtern mehr als alle Worte sagen könnten. Spannend fotografiert, in vitalen Farben, erlebt der Zuschauer das Trauma ganz aus den Augen des Jungen.
Drei famose Darsteller spielen Schlomo als Kind, Teenager und junger Erwachsener in den unendlichen Seelenqualen, die er durchleidet, weil er nicht wirklich weiß, wer er ist, und nicht werden möchte, wozu man ihn machen will. Seine Wurzeln liegen in der Erde Afrikas, die emotionale Bindung an seine echte Mutter, von der er ohne Kontakt getrennt ist, lodert unauslöschlich in seinem Herzen. "Geh und lebe - und komm nie wieder zurück", spricht sie zu ihm, als sie ihn mit dem Flugzeug wegschickt in eine Zukunft voller Zwiespältigkeiten. Die Menschen, die den kleinen Jungen aus dem Elend erretten, können im nächsten Moment zu seinen Henkern werden. Das Grausamste ist, daß die Israeliten im jüdischen Teil Palästinas ihn nur aufnehmen, weil sie ihn für einen Juden halten. Wüßten sie, daß er nicht zu den jüdischen Äthiopiern gehört, würden sie ihn als Mensch für wertlos erachten und in Afrika verhungern lassen. Über Leben und Tod, über Achtung und Verachtung der Menschenwürde entscheidet allein die Zugehörigkeit zu einer Religion. In einem Klima von derartigem Religionsfaschismus in permanenter Angst und Befremdung aufwachsend, ist für Schlomo ein Weg vorgezeichnet: er wird niemals ein Jude sein. Er ist ein Mensch!
Alleiniger Gegenstand des Films ist ein einzelner Mensch als Protagonist mit seiner ganz persönlichen Schicksalsgeschichte.
Die ungeheuerliche global-politische und sozial-ethische Dimension der massenhaften Verschleppung von Afrikanern nach Palästina, mit der die zionistischen Juden ihre Präsenz und Vorherrschaft auf dem von den arabischen Bewohnern geraubten Grund und Boden festigen, wird in dem Film überhaupt nicht angesprochen. Die Frage nach den strategischen Hintergründen und der Legitimität der Umsiedlungsoperation wird nicht gestellt. Keine der Figuren nimmt eine auch nur ansatzweise kritische Position ein. Dafür zeigt der Film aber unverschleiert die Situation der äthiopischen Juden, die im jüdischen Teil Palästinas unter den Israeliten bis heute als Diskriminierte am Rande der Gesellschaft leben.
(Pino DiNocchio)
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![]() | 658429 DE |
Tonspur: | Deutsch / Mehrsprachige Originalfassung (Französisch, Amharisch, Hebräisch) | |
Untertitel: | D | |
Länge: | 144 Min. | |
Bild: | 16:9 Widescreen 1:2.35 | |
Extras: |
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