AMERIKA UND (N)IRGENDWO |
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deutsch - englisch (OF) 73 Min. | 661389 DE |
Originaltitel: | The Toilers and the Wayfarers | |
Regie: | Keith Froelich | |
Musik: | ||
Darsteller: | Matt Klemp, Ralf Schirg, Andrew Woodhouse, Jerome Samuels, Joan Wheeler, Ralph Jacobus, Michael Glen | |
USA 1996 |
New Ulm im US-Bundesstaat Minnesota ist eine konservative Gemeinde deutscher Auswanderer.
Die 16jährigen Jungen Philip und Dieter sind beste Freunde. Philips überraschende Liebeserklärung irritiert Dieter, er reagiert entsetzt und abweisend auf die Homosexualität seines Freundes. Enttäuscht beschließt Philip, der bedrückenden Prüderie der Kleinstadt zu entfliehen. Der Teenager zieht in die Metropole Minneapolis, wo er sein Schwulsein offener leben kann.
Dieter findet einen neuen Kumpel in Udo, der gerade frisch aus Deutschland angekommen ist. Seine gebrechliche Tante hatte den jungen Mann aus der alten Heimat zu sich geholt, um etwas Gesellschaft im Haus zu haben. Doch der Taugenichts lümmelt nur mit der Bierflasche vor dem Fernseher herum. Er macht sich ein faules Leben mit Tantchens Geld. Dieter ist zuerst erstaunt und dann zunehmend fasziniert über Udos Zügellosigkeit. Dem jungen Deutschen sind die strengen Sitten und Moralvorstellungen in seinem Gastland völlig egal, und mit dem Gesetz nimmt er es auch nicht so genau.
Der autoritäre, von Verboten geprägte Erziehungsstil in seinem Elternhaus treibt Dieter unweigerlich immer mehr an Udos Seite. Wenngleich ihm dessen Leichtfertigkeit nicht behagt, erkennt er in der Freundschaft mit dem draufgängerischen Herumtreiber eine Chance, sich wie Philip von der einschnürenden Enge seines Zuhauses zu lösen. Udos unbekümmerte Toleranz gegenüber Schwulen gibt Dieter den Impuls, seine eigenen Gefühle nicht länger zu verleugnen.
Udo und Dieter machen sich auf den Weg nach Minneapolis, um Philip zu besuchen. Der knabenhafte Teenager lebt jetzt dort als Stricher und genießt seine Freiheit. Während Udo immer tiefer im Alkohol und seiner eigenen Unfähigkeit versumpft, taucht Dieter in die Welt des anonymen Sex für Geld ein und gerät als Minderjähriger prompt ins Visier der Polizei. Sowohl Philip, als auch Udo liefern ihm mit ihren jeweiligen Lebenseinstellungen Vorbilder für ein neues Selbstbewußtsein. Der brave Junge läßt sich nicht mehr einschüchtern. Seinem despotischen Vater hat er sich schon widersetzt. Die Polizei hält er zum Narren. Die Welt steht ihm offen...
In stimmungsvoller schwarzweiß Fotografie lichtet Keith Froelich die Boys mit facettenreichem erotischem Touch ab. Das hölzerne Agieren der Laiendarsteller vor der Kamera wird durch die komische deutsche Sprechweise so unterstrichen, daß es wie ein beabsichtigtes Stilmittel erscheint. Matt Helm als Darsteller von Dieter vollzieht im Verlauf der Dreharbeiten selbst genau den Wandel, den seine Charakterfigur durchläuft; er wird selbstsicherer in seinem Auftreten.
Seltsam mutet es an, daß die deutschstämmigen US-Amerikaner alle untereinander ein Deutsch sprechen, welches in Grammatik und Ausdruck zwar korrekt ist, jedoch in der Aussprache nur wie eine nachträglich erlernte Fremdsprache mit starkem englischem Akzent klingt.
Dieters Selbstfindung aus dem puritanischen Mief der Kleinstadt heraus in ein eigenständiges Leben, wo er seine Persönlichkeit entfalten kann, steht im Mittelpunkt. Allerdings zeigt der Film nur den ersten Schritt auf einem längeren Weg. Denn Dieter zieht es weiter. Für den Zuschauer zum Schluß schockierend, verläßt er Philip wieder, nachdem er mit ihm geschlafen hat. Seine Suche geht weiter, er besteigt den Zug nach New York. War der Sex mit seinem besten Freund nur eine jugendliche Episode im Prozeß des Erwachsenwerdens? Es bleibt unbeantwortet, ob Dieter nun schwul ist oder nicht. Die Sexualität fungiert mehr als eine Metapher für den allgemeinen Ausbruch eines Teenagers vom Käfig der kleinbürgerlichen Kinderstube.
Seltsam ist die zeitliche Dislokation des Films. Da sind verschiedene Fakten, die zeitlich nicht übereinstimmen. Carl, der Fahrer des Abschleppwagens, berichtet gar von seinen Erlebnissen im 1. Weltkrieg, und Udo schämt sich, weil sein Vater bei der SS war. Dem Alter dieser Personen nach müßte die Handlung spätestens in den 1970ern angesiedelt sein. Dazu paßt auch die Prügelstrafe in der Schule und der hohe Grad der Homophobie.
Dazu passen aber die deutlich jüngeren Automodelle nicht, dazu paßt das Portrait von Papst Johannes Paul II. nicht, und auch nicht Dieters Anspielung im Polizeirevier auf Don Johnson, denn die Serie "Miami Vice" startete erst 1984. Wenngleich nicht wörtlich ausgesprochen, gibt es mehrere Andeutungen auf die Existenz von AIDS, was ebenfalls erst in den 1980ern bekannt war. Zum guten Schluß zitiert Dieter namentlich Arnold Schwarzenegger mit dem Spruch "Hasta la vista, baby" aus dem Film "Terminator 2" von 1991! Der historische Brei entzieht der Handlung das Fundament und läßt sie in ein undefinierbares Pseudo-Adoleszenzdrama absinken. Man kann nicht jedes Defizit eines unausgegorenen Drehbuchs mit dem Argument "Independent Film" rechtfertigen.
Zum guten Schluß erinnert der Geist jugendlicher Flucht in "The Toilers And The Wayfarers" ein bißchen an die Stimmung der Beatniks in Jack Kerouacs Roman "On The Road". So passen vielleicht die 1950er Jahre am besten als Zeitrahmen für die Geschichte, die dieser Film von der Reise dreier Jugendlicher erzählt.
(Pino DiNocchio)
661389 DE | ||
Tonspur: | Deutsch + Englisch (mehrsprachige Originalfassung) | |
Untertitel: | D (nur bei englischsprachigen Passagen) | |
Länge: | 73 Min. | |
Bild: | 4:3 Vollbild 1:1.33 - s/w | |
Extras: | Audiokommentar |