LORE |
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deutsch 105 Min. | 679751 DE | ||
deutsch 109 Min. | 779751 DE | nicht mehr im Handel |
Originaltitel: | Lore | |
Filmlänge: | 99 Min. ohne Abspann | |
Regie: | Cate Shortland | |
Musik: | Max Richter | |
Darsteller: | Saskia Rosendahl, Nele Trebs, Mika Seidel, André Frid, Nick Leander Holaschke, Kai Malina, Ursina Lardi, Eva-Maria Hagen | |
Deutschland / Australien 2012 |
In den letzten Tagen des April 1945 schafft Hannelores Vater, ein hoher Nazi-Offizier, eilig Akten aus dem Haus und verbrennt sie. Die Mutter packt hastig Wertsachen, Silber und Schmuck zusammen. Dann verläßt die Familie fluchtartig ihr Zuhause im Schwarzwald und versteckt sich auf einem Bauernhof.
Die Nachricht vom Tod des Führers trifft die Mutter, eine linientreue Nationalsozialistin, ins Mark. Sie folgt ihrem Gatten, der von den Alliierten festgenommen wird. Die Kinder sollen alleine zur Großmutter nach Husum reisen. Die 15jährige glühende Hitlerverehrerin Lore muß plötzlich die Verantwortung für ihre Geschwister übernehmen: die jüngere Schwester Liesel, die kleinen Zwillingsbrüder Günter und Jürgen und Baby Peter.
Züge fahren nicht mehr. Lore muß ihre Geschwister zu Fuß durch ein zerstörtes Land führen. Überall sind Flüchtlinge unterwegs. Es wird ein beschwerlicher Marsch, bei dem die Kinder ständig nur nach Essen und nach einem sicheren Nachtquartier suchen müssen. Baby Peter ist nützlich, weil er Mitleid und Hilfsbereitschaft bei den Menschen erregt.
Lore stößt auf erste Zeitungsbilder von den befreiten Konzentrationslagern. Die Fotos und Berichte von den vorgeblichen Greueltaten des NS-Regimes machen das Mädchen wütend. Das ist alles nur Lügenpropaganda der Amerikaner, meint sie.
Tagelang folgt ihnen ein junger Mann. Als sie von einer amerikanischen Militärpatrouille angehalten werden, tritt der fremde Verfolger heran und gibt sich als großer Bruder der Kinder aus. Ein Dokument weist Thomas als einen aus dem KZ befreiten Juden aus. Die Amis mögen Juden. Die Wanderer dürfen passieren. Lore und Thomas bilden fortan eine Zweckgemeinschaft beim weiteren Marsch durch die vom Militär der Siegermächte besetzten Zonen des kapitulierten Reichs. Obwohl der Krieg aus ist, wird immer noch geschossen. Die Kinder laufen in eine Tragödie.
Lores eingeimpfter Haß gegen Juden bleibt ungebrochen, und sie macht kein Geheimnis daraus. Sie hält sich und die Geschwister auf Distanz zu dem jungen Mitreisenden, der ihnen hilft das Nötige zum Überleben zu beschaffen und die gefährlichen Sektorengrenzen zu überqueren. Zugleich fühlt sie sich als Mädchen zu dem schweigsamen Jüngling hingezogen. Gefühle des Verlangens, die sie auf keinen Fall zulassen will. Als Lore die Wahrheit über Thomas erfährt, ist es zu spät...
Die ersten 30 Minuten erledigen sich in hektischen Zusammenschnitten von Makroaufnahmen mit Gegenständen und Fragmenten von Körperteilen der mitspielenden Personen. Eine cinematographische Katastrophe, bei der dem Zuschauer vor Leinwand oder Großbildschirm schwindlig wird. Zusammen mit den kärglichen Dialogfetzen kann man aus dem unerträglichen Bildschrott nur schwer erraten, was die Handlung zeigen will.
Für einzelne illustrative Naturmotive und für gewisse Effektaufnahmen wie die schöne Szene mit dem Porzellanreh oder da wo die Kinder eine geschändete Frauenleiche finden, auf deren verwesendem Fleisch die Ameisen krabbeln, ist die Makrotechnik ja wirkungsvoll. Den ganzen Film so zu drehen, daß man nur mit der Handkamera über halbe Köpfe, Füße und andere Gliedmaßen streift, als würde ein Vierjähriger durch ein Teleobjektiv lustig seine Umwelt erkunden, das ist nicht vermittelbar. Wenn das ein kunstvolles Stilmittel sein soll, liegt es jedenfalls auch im Independent Kino außerhalb jeder Sehgewohnheit.
Nach einer guten Stunde kommt mit dem Hinzustoßen von Thomas erste Spannung in die Geschichte. Für Lore, das Nazi-Mädel mit den blonden Zöpfen, wird die physische Reise von Süddeutschland an die Nordsee zugleich zur Reise aus einer schönen Illusion in eine grauenhafte Wirklichkeit. Das Mädchen braucht die Wochen und auch die körperlichen Strapazen des langen Marschs als Katalysator, um den totalen Zusammenbruch ihres anerzogenen Weltbilds bewältigen zu können. Sie muß das Elend wieder und wieder sehen, dem Tod wiederholt ins Auge blicken, bis sie allmählich begreift, daß der Traum von Hitlers Tausendjährigem Reich unwiederbringlich ausgeträumt ist. Alles, woran sie inbrünstig geglaubt hatte, löst sich auf.
Lore droht der Schädel zu zerplatzen. Sie ist nur noch von Lügen umschlossen. Die infamen Lügen der Amerikaner, die den Deutschen Massenmorde in Konzentrationslagern andichten; die Lügen der Juden, sie sowieso schon immer verlogen waren; die Lügen der eigenen Eltern, von denen Lore ganz langsam dämmert, daß sie vielleicht tatsächlich an den Menschheitsverbrechen beteiligt waren. Da ist kein Platz mehr für klare Gefühle, keine Ruhe für eine vorsichtige zärtliche Annäherung an Thomas.
Die alte Großmutter in ihrem Haus an der Küste tut noch immer so, als sei nichts geschehen, als sei alles richtig gewesen. Doch Lore hat auf der Reise zu viel gesehen, um der schrecklichen Wahrheit noch länger einen blinden Glauben entgegensetzen zu können. In einer starken symbolischen Schlußszene bricht sie mit der als Lüge entlarvten jüngsten Vergangenheit und zerbricht damit förmlich die Tradition ihrer Familie. Ein klirrender Befreiungsschlag. Vielleicht die Chance auf einen Neuanfang auch für ihre jüngeren Geschwister.
Trotz allem, was man eifrig hineininterpretiert, bleibt die Erzählung oberflächlich, die Charakterentwicklung geht in der wirren visuellen Umsetzung ebenso unter wie die bemerkenswerten schauspielerischen Leistungen des kleinen Mika Seidel, der die Rolle des Jürgen mit enormer Ernsthaftigkeit spielt. Die Buben haben weniger Scheu vor Thomas. Sie bewundern den neuen großen Bruder. Ganz unbefangen zeigt Jürgen ihm ein Foto von seinem uniformierten Vater, von dem der Junge noch voller Stolz glaubt, er kämpfe im Krieg für das Vaterland.
Die australische Regisseurin Cate Shortland lehnt sich mit dem Film "Lore" an eine Romanvorlage an, macht die Hauptfigur um drei Jahre älter, um eine erotische Komponente in die Beziehung von Lore und Thomas einzuflechten. Ihr Motiv für den Film war das Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit der Geschichte von Nationen, mit den Menschheitsverbrechen der Vorfahren, den Taten der Eltern und Großeltern - als weiße Kolonisten gegen die Ureinwohner Australiens, in der Apartheid Südafrikas oder auch im Holocaust der NS-Zeit, alles drei historische Lasten, die mit Shortlands Biografie und Familiengeschichte verknüpft sind. Ihre Herangehensweise an die spezifisch deutsche Geschichte bleibt trotz interessanter psychologischer Ansätze in Klischees stecken.
Da findet sich dann auch schon die Erklärung, weshalb ein halbes Dutzend staatlicher deutscher Anstalten ein durch die vermurkste Bildregie so optisch ungenießbares Machwerk mit Steuergeldern finanziert: Hauptsache es geht thematisch um die böse Nazi-Zeit, dann ist man mit dem Projekt schon für eine öffentliche Förderung gesetzt.
Jene, die damals überzeugte Nazis waren, haben den Zusammenbruch ihrer Ideologie und die anschließende vernichtende Verurteilung der Taten seelisch nie verkraftet. Alles, was sie in der kollektiven moralischen Aberration aus tiefstem Herzen für gut und richtig gehalten hatten, war plötzlich abgrundtief verbrecherisch. Für diese Leute ging 1945 die Welt unter. Die letzten noch zum Leben verdammten dieser Generation bekennender Nazis hadern heute als Demente in Altenheimen mit der nicht enden wollenden Leere ihres Daseins, denn sie haben in ihrem Gedächtnis keine Erinnerung an die Zeit, die seit Kriegsende vergangen ist. Indessen blieb den Kriegskindern, wie sie im Film auch Lore verkörpert, nicht wirklich viel Spielraum, sich von ihren Eltern zu distanzieren. Welche Perspektiven hätte ein Mädchen im Alter von Lore in den Nachkriegsjahren gehabt, wenn sie einen radikalen Bruch mit ihrer Familie vollzogen hätte? Der einzige Ausweg war wahrscheinlich jener, der Weltgeschichte still ihren weiteren Lauf zu lassen und sich über die unaussprechliche Vergangenheit Schweigen aufzuerlegen.
(Pino DiNocchio)
679751 DE | ||
Tonspur: | Deutsch | |
Untertitel: | E, F | |
Länge: | 105 Min. | |
Bild: | 16:9 Widescreen 1:1.85 | |
Extras: | Making of | |
- minus - | Covermotiv mit Zensurzeichen überdruckt |
779751 DE | ||
Tonspur: | Deutsch | |
Untertitel: | E, F | |
Länge: | 109 Min. | |
Bild: | 16:9 Widescreen 1:1.85 | |
Extras: | Making of | |
- minus - | Covermotiv mit Zensurzeichen überdruckt |