PICCO |
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![]() 103 Min. | 687419 DE | nicht mehr im Handel | |
![]() 104 Min. | 787419 DE | nicht mehr im Handel |
Originaltitel: | Picco | ![]() |
Regie: | Philip Koch | |
Musik: | --- | |
Darsteller: | Constantin von Jascheroff, Joel Basmann, Martin Kiefer, Frederick Lau, Willi Gerk, Konstantin Frolov, Enno Trebs, Aram Arami, Edin Hasanovic | |
Deutschland 2010 |
Vier junge Männer sind in einer Gefängniszelle eingesperrt. 16 Quadratmeter Bodenfläche. Irgendwo in Deutschland.
Kevin ist neu. Er ist der Picco. Der Neue ist den Schikanen der anderen Gefangenen ausgesetzt. Das ungeschriebene Gesetz des Knasts.
Noch schlechter geht es Juli, der sich als einziger mit Kevin anfreunden möchte. Der stille Junge wird als "Schwuchtel" beschimpft und vor den Augen von Kevin und dessen Zellengenossen Tommy durch den ranghöchsten Schläger des Trakts vergewaltigt. Juli bringt sich um.
Kevin findet kein Verständnis für seine Ansicht, man müsse etwas gegen die Gewalt unternehmen. Seine zaghaft gewonnene Akzeptanz bei den Mitgefangenen gerät in Gefahr, wenn er sich zu sehr für Gerechtigkeit und gegen die vorherrschende Gewalthierarchie stark macht. Will er nicht selbst das nächste Opfer werden, muß sich Kevin der Mehrheit anschließen und mitschwimmen, auch gegen seine tiefste moralische Überzeugung.
Plötzlich wird der labile Tommy das Opfer, auf dem herumgehackt wird. Kevin schwingt sich zum Wortführer auf. Die Machtverhältnisse in der Viererzelle kippen...
Was sich in der Knastzelle abspielt, ist der bestialische Überlebenskampf von Individuen, die unter der bedrohlichen Enge panisch reagieren und aggressiv aufeinander losgehen. Wie Ratten im Käfig beißen sich die menschlichen Artgenossen gegenseitig tot. Vier sind einer zu viel. Ein Opfer muß sterben.
Auf drastische Weise verdichtet Regiestudent Philip Koch in seinem Abschlußspielfilm verschiedene wahre Begebenheiten aus deutschen Gefängnissen zu einer schockierenden psychologischen Demonstration. Dabei ist der entscheidende Punkt nicht die Grenze, an der das soziale Gewissen unter dem Überdruck kurzschlußartig versagt, sondern das ganze destruktive System des deutschen Strafvollzugs wird mit dem Film zur Disposition gestellt.
Kevin macht von Anfang an klar, daß die Verhältnisse in der Anstalt nicht seinen sozialen Umgangsformen entsprechen. Er ist ein intelligenter, zivilisierter junger Mann, der Konflikten argumentativ begegnet, und dem an einem freundlichen Miteinander gelegen ist. Nun steckt man diesen Jungen in ein Milieu, wo er in allen Lebensbereichen auf engstem Raum von Leuten umgeben ist, denen moralische Werte wie Respekt vor der Würde ihrer Mitmenschen entweder völlig fremd sind, oder die eingeschüchtert resigniert in passive Deckung gegangen sind bis hin zur Selbstaufgabe. Es ist ein von Gewalt und Machtspielen dominiertes Biotop, bevölkert von homophoben, spätpubertären Rüpeln, wo auch die sanftmütigsten Bewohner durch den Sog der Masse auf die unterste asoziale Verhaltensstufe herabgezogen werden.
Die Anstaltspsychologin erklärt Kevin, es sei ein Teil seiner Bestrafung, daß er für die Dauer seiner Haft diesem Haufen primitiver Gestalten ausgesetzt wird und die sadistischen Quälereien durch die Mitgefangenen ertragen müsse. Eine solche explizite Strafform wird in der Öffentlichkeit ganz sicher nicht mit dem Freiheitsentzug assoziiert. Es ist bekannt, daß in Gefängnissen rauhe Bedingungen herrschen, zumal ein erheblicher Teil der Kriminellen durchaus dem bildungsfernen Gewaltmilieu der Unterschicht entstammt. Jedoch macht sich kaum jemand bewußt, daß auch Gefangene, welche ein normales Sozialverhalten aufweisen, mit den gewaltbereiten Subjekten zusammen eingeschlossen werden. Im Strafvollzug wird kein Unterschied gemacht, welchen sozialen Wertekodex und welchen persönlichen Lebensstil ein Insasse besitzt. Vielmehr wird in der Praxis einfach der Kodex, welchen die Mehrheit der Häftlinge pflegt, für allgemeingültig erklärt.
Das ist, wie der Spielfilm "Picco" eindringlich aufzeigt, ganz besonders im Jugendstrafvollzug, ein fataler Systemfehler. Gut gebildete Jugendliche aus guten Verhältnissen, die aus welchem Grund auch immer eine Haftstrafe absitzen müssen, werden hier buchstäblich in den Rattenkäfig gesteckt. In der so wichtigen, noch nicht abgeschlossenen Phase der Charakterbildung, die ja gerade bei Straffälligen bis zum 21. Lebensjahr durch die vom Erwachsenenvollzug getrennte Jugendhaft und das Jugendstrafrecht ausdrücklich anerkannt ist, werden junge Menschen wie Picco jeder Chance für eine Rückkehr in ein normales Leben beraubt. Feinfühlige Seelen werden in diesem geschlossenen Foltersystem gebrochen, Lebenswege werden ruiniert.
Nicht die grausige Tat, die sich in der Zelle unter den vier jungen Häftlingen ereignet, ist das Schockierende in dem Film, sondern die Ignoranz des Justizsystems, die derartige Vorkommnisse prädestiniert und sich davon ungerührt zeigt. "Picco" stellt ernstzunehmende Fragen an das offenkundige Versagen des deutschen Jugendstrafvollzugs.
Bei der Prägnanz des Inhalts wäre es nicht nötig gewesen, den kompletten Film in der Postproduktion mit einem so kalten blau-grünen Stich einzufärben, daß er in fast monochromem Türkis die unterirdisch tote Atmosphäre eines Autopsiesaals annimmt. Dieser übertriebene Kunstgriff läßt die Darsteller wie lebende Leichen aussehen. Gedreht wurde in einem echten stillgelegten Gefängnis. In der klaustrophobischen Enge des Raums, ohne jede Filmmusik, nimmt die Interaktion der vier Figuren stellenweise kammerspielartige Züge an. Allen voran Constantin von Jascheroff und Joel Basmann hätten es für ihr realistisches Schauspiel verdient, ansprechender ins Bild gesetzt zu werden, statt hinter einem Grauschleier zu verschwinden. Immerhin aber ist es dem Regisseur mit seiner packend authentischen Inszenierung inklusive einer extrem lebensechten Dialogführung gelungen, in Anknüpfung an den Foltermord im Gefängnis Siegburg das brisante Thema fernab von reißerischer Effekthascherei in strenger Sachlichkeit zu behandeln.
(Pino DiNocchio)
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![]() | 687419 DE - mit Wendecover - | ![]() |
Tonspur: | Deutsch | ||
Untertitel: | keine | ||
Länge: | 103 Min. | ||
Bild: | 16:9 Widescreen 1:1.77 | ||
Extras: | Wendecover, Deleted Scenes, Interview mit Regisseur Philip Koch |
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![]() | 787419 DE - mit Wendecover - | ![]() |
Tonspur: | Deutsch | ||
Untertitel: | keine | ||
Länge: | 104 Min. | ||
Bild: | 16:9 Widescreen 1:1.77 | ||
Extras: | Wendecover, Deleted Scenes, Interview mit Regisseur Philip Koch |
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